Die Gemengelage, Oktober 2024
1. Malerei als Skript von und für Prozesse
Die Malerei ist da.
Sie hängt, ausgebreitet auf drei nummerierten Blättern im NRW-Forum am Ehrenhof, in Düsseldorf, ihr weiterer Rahmen ist die Ausstellung DIE GROSSE
Die drei Malereien auf Papier im Format 70x50cm haben aus meinem Atelier heraus die Jury durchlaufen und sich einen Weg an die Wand des Museums geschlängelt.
Jetzt hängen sie da, mit einem Blick zu erfassen, in der Abteilung für abstrakte Kunst, bei der es um Farbe geht.
In der Mitte der Hängung verläuft ein Riss durch die Wand. Von oben nach unten, erinnert an einen Blitzschlag.
Es handelt sich hierbei um einen Zufall, dem ich gerne zustimme.
Der Blitzschlag ist ein plötzliches, elektrisches Naturphänomen, das während eines Gewitters auftritt, eine intensive Entladung von Hochspannung zwischen Wolken und Erdboden.
Im metaphorischen Sinn steht der Blitz für die plötzliche Idee, wie das z.Bsp Hindemith beschreibt, wenn er über seine musikalischen Einfälle spricht:
„Vielleicht ist das Wort Einfall der vollkommene Ausdruck für die Unmittelbarkeit und Unerklärbarkeit, die wir gewöhnlich mit künstlerischen Ideen verbinden. Irgendetwas, man weiß nicht was es ist, fällt in uns hinein. – Was ist eine musikalische Vision? Wir kennen alle den Eindruck, den während eines nächtlichen Gewitters ein heftiger Blitzstrahl auf uns macht. Im Zeitraum einer Sekunde sehen wir eine weite Landschaft, nicht nur in ihren allgemeinen Umrissen, sondern mit jeder Einzelheit.“
Wie wäre es, Malerei als Skript wahrzunehmen, für eine Aufführung, für Betrachtungen, die sich in der Zeit entfalten.
Das Ergebnis ist mit einem Blick zu erfassen,
sie ist das Ergebnis eines lebendigen Prozesses.
Dann hängt sie da, und schweigt.
Bis sie jemand wieder mit Zeit füllt, sich darin bewegt, und sie zum Klingen bringt. Durch die Begegnung, durch das, was wahrnehmbar ist und das was sie anstößt.
2. Malerei und Sprache / Malerei und spielerischer Realismus
Malerei und Sprache bilden zusammen ein Spannungsfeld.
Malerei ist ein nonverbaler Raum, vor allem, wenn sie Figuration vermeidet. Sie bewegt sich im Bereich der Körpersprache.
Die verbale Sprache bringt eine Figuration, Zeichnung mit ins Bild, die darüber schwebt, sich andockt, einen Subtext, der im Kästchen an der Wand daneben zu lesen ist, oder auch nicht. Das Bild schweigt, eine Partitur, die gespielt werden kann. Ein Objekt, das einlädt, ein Tor, das einen Raum eröffnet.
Sie kann auch in Ruhe lassen, dort wo es Überreizung gibt und Informationsfluten.Sie wartet auf die Neugier einer lauschenden Betrachtung.
Um das Bild zu spielen, bringen wir es wieder in Zeit und Leben.
Wir haben hier zuerst mal die visuelle Dynamik stehen.
Die Figuration, wenn wir sie so verstehen, dass das, was eingesetzt ist, für etwas anderes steht, was nicht sichtbar ist, besteht aus Pinselstrichen, Schüttungen, Farbkontrasten, Polaritäten in Material und Farbe.
Die Gegenständlichkeit, die in einem abbildenden Gemälde als dargestelltes Objekt lesbar wäre, besteht hier aus dem Material selbst. Hier haben wir einen Raum, der die Realität selbst im Material handeln lässt. Material, Handwerk, Bewusstsein, Gegenwart, Subjekt.
Es gibt energische Pinselstriche in warmem Ocker, die Schüttungen von transparenter Farbe einrahmen. Zitroniges Gelb, pastös und transparente, flüssige, sich selbst in zufällige Formationen bringende Gelbfluten, aktiviert durch helles Violett - und das Ocker, erdig, krümelig, als gesetzte Ballung.
Malachit-grün, knollig, darüber warmes modriges Braun, durchleuchtet und Orange. Helles Blau
Die Konstellationen von Farbe im Rahmen des Formats triggern sich gegenseitig, Schauspieler auf einer Bühne aus Papier.
Das Formprinzip ist das Lauschen der einzelnen Akteure im Rahmen des Aufmerksamkeitsraums.
Die Akteure haben verschiedene Möglichkeiten sich zu äußern -
sie dürfen im Farbkreis wählen, in der Licht und Leuchtkraft der Farben.
Sie dürfen in der Körperlichkeit von Farbe handeln, in ihrer Pastosität, Flüssigkeit, in ihrem Auftrag aus Geste. Sie folgen ihren eigenen Gesetzen und den Bewegungen, die ich ihnen gebe. Meine Aufmerksamkeit, Bewusstsein im Moment ist in Beziehung mit dem Material und den Ideen.
Ein Spiel.
Was mich daran fasziniert: Mein Handeln in der Welt verläuft jetzt durch diesen Trichter der Gegenwart. Eine dünne Schicht von Gegenwart, durch das ich meine Vergangenheit in die Zukunft schleuse, als biografischen Moment, als Autorin des Zeitraums, als Einladung an andere, auch durch dieses Gegenwartstor zu gehen. Das Blatt ist das Dokument davon, und bleibt, immer wieder benutzbar.
Die Sprache als figürliche Zeichnung, als Teil des Realismus des Bildes:
Gemengelage 1,2,3, Oktober 2024
Die Gemengelage ist eine unübersichtliche, komplexe Situation. Sie ist von einer Vielzahl von herausfordernden Faktoren, Interessen, Konflikten gekennzeichnet, und einer unbegreiflichen Dynamik.
Eine Gemengelage ist ein Übergangszustand, der zu einer Auflösung strebt.
Das Gegenteil einer Gemengelage ist eine klare, übersichtliche Situation, ein Ruhezustand.
3.
Überlegungen zur Zeit und zur Gegenwart
Die Gegenwart ist die schmale Schicht, in der Vergangenheit und Zukunft zusammentreffen. In der die Dinge materiell sind.
Nur hier? Ist das Material von Morgen schon da? Die Vergangenheit, existiert sie materiell?
Hier und jetzt ist die Welt taktil und kann behandelt, begriffen werden, jetzt kann ich handeln.
Aus der Vergangenheit und der Zukunft kommen Impulse für das Handeln in der Gegenwart. Durch mein Bewusstsein.
Malerei hat Schichten. Hier die Arbeiten haben jeweils nur eine Schicht. Sie sind schnell gesetzt. Schnell hintereinander, wie wenn das eine Blatt eine Schicht des vorherigen ist.
Malerei ist eine Praxis. Sie verläuft hier wie ein Gig, eine Session, eine
Séance, in einem zeitlichen Ablauf mit Spannungskurve, einer Probe, einer Aufführung.
Beim Trickfilm ist jedes Blatt ein Schritt, ein Minischritt in der Bewegung einer Dynamik, die von etwas herrührt und in sich die Bewegungsrichtung enthält.
3. Malerei und Improvisation
Die Malerei vollzieht sich in drei Akten:
1. Betrachtungen von Kunst, philosophische Überlegungen, Handlungen des Alltags, Begegnungen mit Menschen, Gestalten von Initiativen in der Welt, das neugierige Ansammeln von existentiellen Inhalten, Landschaft und Stoff: Inspiration/ Einatmen
2. Loslassen, Vergessen, Pause
3. Das leere Blatt und das malerische Material
Die eigentliche Malerei entsteht wie eine musikalische Improvisation. Auf einem leeren Blatt. Ohne Vorgabe, ohne Plan. Es beginnt mit Leere und manchmal mit dem unruhigen Bedürfnis nach Klärung von Spannungszuständen. Etwas will sich zusammenbrutzeln, verdichten, bündeln. Sichtbar werden. Die Gegenwart kann aus sehr unterschiedlichen Erzählsträngen bestehen. Woraus speist sie sich? Welche Formprinzipien gibt es?
Die Gegenwart hat Anteile, in dem, was sich um mich herum abspielt, und Anteile, die im Off wirken. Im räumlichen oder im zeitlichen Off. Sie kann sich harmonisch und ruhig, oder dringend und in großer Anspannung vollziehen. Es gibt lustvolles und schmerzhaftes, drängendes, schleppendes, fließendes, hämmerndes, flirrendes, bohrendes, hüpfendes, sehnsüchtiges, gelangweiltes - was in den Moment wirkt. Die Gegenwart wirkt wie eine Architektur. Die Malerei ist Hingabe und Lauschen und direktes Umsetzen in Farbe und malerischen Handlungen. Sie strebt eine Einheit an, ein Dokument der Gegenwart.